Interview – männlich, 38 Jahre, Flüchtling aus Syrien.

Mohammad (Zum Schutz der Person wurde der Name geändert)

Geboren am 11.10.1980 der Stadt Daraa in Syrien als Sohn palästinensischer Flüchtlinge, die bereits 1948 von Palästina nach Syrien geflohen waren. Fünf Brüder und drei Schwestern, er ist verheiratet und hat eine 16 Monate alte Tochter. Heute lebt er zusammen mit Tochter und Frau in Eupen.

Weil ich die Hoffnung nicht aufgeben wollte.

Ein Erlebnisbericht.

Ich bin Ingenieur von Beruf und habe in Syrien 4 Jahre lang in meinem Beruf gearbeitet. Ebenfalls habe ich dort 8 Jahre lang als Journalist und Fotograf bei einer regierungskritischen Zeitung gearbeitet. Meine Muttersprache ist Arabisch und ich verfüge auch über Grundkenntnisse in Englisch, Französisch und Deutsch.

 

Aufgewachsen bin ich in einem Flüchtlingslager für Palästinenser in Daraa, Syrien. Das Camp war ca. 1 km2 groß und hier lebten etwa 10.000 Menschen. Wir wurden vom UNRWA (Hilfswerk der Vereinten Nationen für Palästina Flüchtlinge) und anderen NGOs betreut. Bis zu meinem 14. Lebensjahr besuchte ich ebenfalls die Schule des Camps. Es gab in dem Camp ein kleines Krankenhaus mit einem Arzt, einem Zahnarzt, einer Gynäkologin und ein kleines Labor. Die Häuser waren relativ solide gebaut, jedoch war die gesamte Infrastruktur nicht auf 10.000 Menschen ausgerichtet.

 

In der Oberschule sollten wir Formulare ausfüllen. So sollte die Parteizugehörigkeit der jungen Leute zur Regierungspartei geprüft werden. Ich füllte dieses Formular nicht aus. Ich wollte dieser Partei auf keinen Fall angehören. Unser familiärer Hintergrund war der folgende: Mein Vater sowie einer meiner Brüder, mussten aufgrund ihrer Zugehörigkeit zu einer regierungskritischen politischen Gruppe eine Haftstrafe von 2 Jahren verbüßen. Während ihrer Inhaftierung wurden sie gefoltert. Mein Bruder hat seit dieser Zeit deformierte Füße.

 

Am 4. Januar 2014 traf ich die endgültige Entscheidung aus Syrien zu fliehen. Es hatte 2 Wochen zuvor zahlreiche Luftangriffe auf Daraa gegeben und ich war massivst von einer rechtsradikalen Gruppe bedroht worden. Zusammen mit 11 weiteren Personen begaben wir uns zu Fuß auf die Flucht.

Meine Frau sowie meine Familie wussten von meinem Plan. Ich hatte keinerlei Geld für die Flucht. Wir liefen 21 Tage in den Norden von Syrien. Während dieser Zeit halfen uns Beduinen. An der irakischen Grenze stießen wir auf Soldaten der syrischen Befreiungsarmee, die uns mit ihren Militärfahrzeugen mit nach Raqa nahmen, eine Stadt, welche zu dieser Zeit von den ISIS Soldaten besetzt war. Wir mussten an dieser Stadt vorbei, um in die Türkei zu gelangen. Wir passierten diese Stadt mit größtem Bangen, indem wir uns als Wanderarbeiter ausgaben. Dies gelang uns glücklicherweise nach ca. 1 Woche.

In der Türkei konnten wir zunächst bei Freunden in Urfa unterkommen. Hier arbeitete ich zunächst 1 Monat als Anstreicher. Mit dem verdienten Geld fuhr ich nach Istanbul zu einem Freund, kehrte jedoch nach 2 Wochen nach Urfa zurück, da ich in Istanbul keine Arbeit finden konnte. Nach meiner Rückkehr fuhr ich zur Hauptstadt Ankara, um mit 8 weiteren Personen vor der dortigen palästinensischen Botschaft zu protestieren und um Hilfe zu bitten. Die Botschaft half mir schließlich dabei, für 45 Tage eine Wohnung in Istanbul zu finden. Nach dieser Zeit versuchte ich per Schiff von Izmir nach Griechenland zu gelangen.

Wir wurden massiv von einer rechtsextremistischen Gruppe im Boot bedroht und bestohlen und das Boot wurde von dieser stark beschädigt. Es waren keinerlei Schwimmwesten im Boot. Wie die meisten anderen der ca. 45 Passagiere konnte ich nicht schwimmen. Die türkische Polizei kam uns schließlich zur Rettung. Ich versuchte auch über Adana nach Bulgarien zu gelangen. Ein Bulgare, den ich um Hilfe bat, rief die Polizei. Die bulgarische Polizei nahm mich fest, schlug mich und setzte auch Elektroschocker ein.

Insgesamt habe ich acht Mal versucht per Boot von der Türkei nach Griechenland zu gelangen. Das letzte Mal konnte ich mehr Geld an die Schlepper von Izmir bezahlen und die Überfahrt klappte. Auf Samos ließ ich mich als politischer Flüchtling registrieren. Ich lebte dort in einem Flüchtlingslager. Von Samos fuhr ich weiter nach Athen. Dort arbeitete ich in verschiedenen Restaurants. Ich sparte Geld und hatte außerdem das Glück, dass mir einer meiner Brüder Geld schicken konnte, um einen Schlepper zu bezahlen der mich von Athen nach Paris und von dort nach Brüssel brachte. Ich kam um 2 Uhr morgens in Brüssel an und schlief am Bahnhof. Morgens um 8 Uhr meldete ich mich im Kommissariat, wo man mich durchsuchte und verhörte.

Schließlich brachte man mich in das Flüchtlingslager von Aywaille, wo ich 5 Monate blieb. Ich wurde als staatenloser politischer Flüchtling anerkannt und zog nach Membach, wo ich 2 Jahre blieb. Danach zog ich nach Eupen. Bereits in Membach begann ich ESF-geförderte Deutschkurse bei der Erwachsenenbildungsorganisation  KAP in Eupen zu besuchen. Ich lernte bis zum Niveau A2 Deutsch.

Zur Zeit lerne ich Französisch bei der SIMA in Verviers, da ich dort auch eine Ausbildung als Pressefotograf machen möchte, die 1 bis 3 Jahre dauern wird. Ich arbeite zur Zeit ehrenamtlich für das Rote Kreuz bei der Lebensmittelausgabe in Eupen.

Meine Frau konnte mir im Rahmen der Familienzusammenführung vor 2 Jahren hierher folgen. Unsere Tochter ist in Belgien geboren. Meine Frau besucht einen vom Roten Kreuz organisierten Deutschkurs. Ich beabsichtige hier zu bleiben und zu arbeiten. Nach Syrien zurückzukehren stellt für mich keinerlei Option dar. Meine Eltern leben immer noch in Daraa und ich halte Kontakt mit ihnen per Skype. Sobald es mir möglich sein wird, werde ich meine Eltern finanziell unterstützen.

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